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Festakt zum 120. Geburtstag von Erich Ohser – Eine Rückschau

Es war ein wunderschöner Abend, anders kann man es nicht sagen. Der Anlass gab schon einen nicht alltäglichen Rahmen vor: Es wäre der 120. Geburtstag von Erich Ohser alias e.o.plauen gewesen. Um diesen Jahrestag gebührend zu feiern, bot das Erich-Ohser-Haus zusammen mit dem Vogtlandmuseum am Abend des 18. März 2023 ein ganz besonderes Programm mit dem Titel: »Von Schneemännern, Schlafwandlern und verlorenen Söhnen – Gedichte, Musik und Karikaturen aus dem Berlin der 1920er und 30er Jahre.« Die inhaltliche wie musikalische Gestaltung oblag dem renommierten ensemble diX für das Gesamtprogramm und dem Chemnitzer Komponisten Thomas Stöß, dem der Abend eine musikalische Perle zu verdanken hatte.

Das ensemble diX stammt aus Gera, der Geburtsstadt von Otto Dix, und hat sich die Präsentation von Kammermusik in ungewöhnlichen Formen zur Aufgabe gemacht. In ganz Deutschland, Europa und den USA war es schon zu Gast und dabei vor allem mit seinen Dix-Vertonungen große Aufmerksamkeit erlangt. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt seines Repertoires ist die Verknüpfung von Literatur und Musik mit einem speziellen Augenmerk auf den sogenannten »Goldenen Zwanziger Jahren«. Und so lud das ensemble diX die Zuschauerinnen und Zuschauer in seinem Programm zum Geburtstag von Ohser in das Berlin dieser Zeit ein und erinnerte gleichzeitig an die legendäre Freundschaft der drei »Erichs« – Erich Ohser (1903–44), Erich Kästner (1899–1974) und Erich Knauf (1895–1944).

Zu jedem Stück des Ensembles rezitierte der hier zulande beliebte und für seine ausdrucksstarken Redebeiträge bekannte Schauspieler Helmar Stöß ein Gedicht von Erich Kästner, was sowohl die historischen Begebenheiten damals in Berlin lebendig werden ließ, als auch einen Bogen spannte zu den Verhältnissen in unserer heutigen Zeit. Besonders passend war sein Mitwirken deshalb, weil so mit seinem Sohn Thomas Stöß, ohne den das Konzert in dieser Form nicht stattgefunden hätte, ein weiteres Vater und Sohn Gespann Teil des Festakts wurde. Heiter und überraschend lockerte das »Klopslied« (1925) für Bläserquintett (Arr. Hendrik Schnöke) von Kurt Weill (1900-50) die Stimmung noch weiter auf und sorgte für einen Moment des befreiten Lachens und der Entspannung. In Erinnerung an den Theaterkritiker Erich Knauf wurden zudem Ausschnitte aus Weills Dreigroschenoper zum Besten gegeben und rundeten damit das Gesamterlebnis ab. Von den zeitgenössischen Komponisten war der Macher der »Groteske«, Herr Peter Helmut Lang, persönlich zugegen, wodurch die Bedeutung dieses Abends nicht nur für Erich Ohser, sondern auch für die Musikszene, für alle Anwesenden noch deutlicher wurde.

Höhepunkt des Konzertes aber war die Uraufführung von sechs Vertonungen von e.o.plauens »Vater und Sohn«-Bildgeschichten, die der in Plauen aufgewachsene Komponist Thomas Stöß komponiert hatte und die er am 18. März zu Erich Ohsers 120. Geburtstag das allererste Mal präsentierte. Die Mikrokomposition zum Comic »Mühe ist der Segen Preis« der »Vater und Sohn«-Reihe wurde zuerst im Rahmen eines Aufrufs von MDR KLASSIK, Mikrokompositionen einzureichen, erdacht und aus 140 verschiedenen Vorschlägen von Komponistinnen und Komponisten in ganz Mitteldeutschland ausgewählt. Diese kurze aber auf den Punkt gebrachte Komposition produzierte man dann in Leipzig. Als die Mitarbeiterinnen es damals im Erich-Ohser-Haus hörten, war man sofort begeistert und damals reifte der Wunsch in allen Beteiligten, einmal eine Uraufführung dieser kleinen Stücke im Rahmen einer e.o.plauen-Veranstaltung zu inszenieren. Und welcher Tag wäre idealer für eine Uraufführung von sechs Episoden für Oboe, Klarinette und Fagott zu Bildergeschichten von e.o.plauen, als Ohsers 120. Geburtstag? Und so kamen alle Anwesenden in den Genuss, zusätzlich zur eben schon erwähnten Mikrokomposition auch die Vertonung folgender Comics erleben zu dürfen: »Glückliche Lösung«, »Der tapfere Schneemann«, »Der Schlafwandler«, »Der verlorene Sohn« und »Der unheimliche Nachbar«. In einem Programm, das allen Zuhörenden ausgeteilt worden war, konnte man die Bildgeschichten ansehen und Panel für Panel das visuell »mitlesen«, was die Stößschen Kompositionen uns an akustischen Reizen vormalten.

Thomas Stöß kostet mit seinem auf sechs Teile angewachsenen Zyklus schöpferisch sehr genau und äußerst reizvoll das jeweils heiter-hintergründige Handlungsgeschehen aus. Bereits stilistisch entspricht er der Vorlage der Bilder kongenial durch eine effektvolle, scheinbar (!) ebenfalls leicht – wie aus dem Ärmel geschüttelte – verständliche Klangsprache, die durch die drei Holzblasinstrumente eine bestmögliche charakteristische Färbung erhält. Im musikalischen Verlauf gibt es stets ebenso eine Zuspitzung. Sie ruft nach einer Veränderung (wie ganz bildlich der Vater in »Der verlorene Sohn«), manchmal durch eine Generalpause markiert, mitunter auch durch eine melodisch veränderte Struktur, bis hin zum Zitat. In gewisser Weise analog zu den Bildern, mit Regen-Getrommel, dem Ticken einer Uhr oder auch einem schriftlich formulierten Hilferuf und sogar einem in Noten gefassten Gesang, zeichnet die Musik die plastischen Ereignisse bis hin zum pointierten Umschwung. Das Einfache, das schwer zu machen ist, über berührend-tiefgründigen Humor zu ernsthaftem Nachdenken zu veranlassen, hier nimmt es Gestalt an, die auf baldiges Weiterleben hoffen darf.

Doch wer ist Thomas Stöß eigentlich, der uns dieses wunderbare Erlebnis bescherte? Thomas Stöß studierte Komposition, Klavier und Dirigieren an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar. Er lebt als freischaffender Komponist in Chemnitz und unterrichtet zusätzlich Klavier und Komposition an der dortigen Städtischen Musikschule. Als Komponist arbeitet er regelmäßig mit renommierten Solisten und Ensembles zusammen, so unter anderem mit den Pianisten Moritz Ernst und Kolja Lessing, dem Würzburger Klaviertrio, dem ensemble 01, dem ensemble diX, dem Chemnitzer Barockorchester, der Sinfonietta Dresden und dem A-cappella-Kammerchor Freiberg. Seine Veröffentlichungen zeitgenössischer Klaviermusik für Kinder und Jugendliche beim Musikverlag Ries & Erler Berlin erfreuen sich zunehmender Beliebtheit und etablieren sich als Wettbewerbsstücke.

Nach dem Hauptkonzert im Festsaal des Vogtlandmuseums wurde der gemütliche Teil des Abends eingeleitet. Die Geburtstagsgesellschaft flanierte in die Galerie e.o.plauen zu einem Umtrunk und zum reichlichen Kunstgenuss. Und auch da gab es auch ein kleines musikalisches »Divertissement« mit eben diesem Titel (1927) von Erwin Schulhoff (1894–1942). Es war also ein durchaus musischer Abend für Jung und Alt, an dem sich jeder wohl fühlen konnte.

Es bleibt am Ende nur noch, all jenen unseren Dank auszusprechen, die diesen Abend so wunderbar mit uns gestaltet haben, die mit uns Ohsers 120. Geburtstag gefeiert und seiner bei einem Rundgang durch das Haus gedacht haben!

Text: Iris Haist und Christoph Sramek